Seit einiger Zeit herrschte eine bedrückende Stille im Haus, die ab und zu durch leises Koffergeklapper unterbrochen wurde. Bei Frau Monath, die zwei Burmakatzen ihr eigen nannte, war eine schlimme Krankheit festgestellt worden, sodass sie in eine weit entfernte Spezialklinik zur Operation gehen musste. Das war ein echtes Problem, denn die beiden Katzengeschwister Luka und Mali mussten versorgt werden. Zum Glück hatte Frau Monath eine sehr nette Frau gefunden, die Frau Sommer hieß. Sie sollte jeden Tag kommen, um mit ihren Lieblingen zu spielen und ihnen das Futter zu geben. Deshalb hätte Frau Monath getrost gehen können. Aber sie war unendlich traurig, wenn sie sich vorstellte, dass ihre geliebten Schätze vielleicht mehrere Wochen alleine bleiben mussten. Und das auch noch in der Weihnachtszeit.
Luka und Mali spürten, dass Frauchen etwas quälte. Sie war gar nicht mehr zum Spielen aufgelegt und hatte auch einen ziemlichen Verbrauch an Taschentüchern. Deshalb blieben sie in ihrer Nähe, saßen auf oder in den Koffern, kuschelten sich in ihren Schoß, rieben die Köpfe an ihren Wangen. Aber Frauchen wurde nicht fröhlicher.
Und eines Morgens war es soweit: Ein letztes Auf-den-Arm-nehmen – und dann schlug die Haustür zu.
Frauchen ist weg
In den ersten Tagen des Alleinseins setzten sich die beiden zu Frauchens gewohnter Ankunftszeit an das Küchenfenster und schauten auf die Straße. Aber nichts geschah. Dann legten sie sich hinter die Haustür. Aber es kam nur Frau Sommer. Zwar freuten sie sich, wenn sie sie sahen, da sie sie liebevoll betreute, aber das Frauchen fehlte ihnen trotzdem sehr. Wo war sie bloß? Hatte sie ihre beiden Schnurrer denn vergessen?
Mit der Zeit war ihnen der Appetit vergangen. Sie wollten nicht mehr spielen und nicht mehr auf dem Kratzbaum liegen. Sie verbrachten die Tage am Küchenfenster und starrten teilnahmslos auf die Straße und warteten…..
Frau Sommer war inzwischen fast verzweifelt, denn die Katzen hatten schon ganz schön abgenommen. Es musste etwas geschehen. Vielleicht brauchten sie einfach mal ein bisschen Abwechslung. Deshalb beschloss sie, die beiden ein Weilchen in den Garten zu lassen, obwohl das Frau Monath ausdrücklich verboten hatte. Da es ja ziemlich kalt war, würden sie sicher bald wieder kommen.
Der Gang ins Ungewisse
Luka und Mali traten auf die Terrasse und schnupperten ein wenig im Garten herum. Ohne Frauchen machte es hier draußen keinen Spaß. Lustlos trotteten sie in Richtung Gartenhäuschen. Gerade hatte es ein wenig geschneit. Angewidert schüttelte Luka einige Flocken von den Pfoten. Der kalte Wind fegte die Wolken mit einer Riesengeschwindigkeit über den Himmel. Plötzlich entstand eine Wolkenlücke, aus der ein paar Sonnenstrahlen herausschielten. Die Tannen hinter dem Gartenhäuschen neigten sich tief auf das Dach, sodass Luka zusammenzuckte. Er hob den Kopf und erstarrte: So etwas Schönes hatte er noch nie gesehen. Ein Regenbogen – und das im Winter – spannte sich vor seinen Augen durch eine Tanne und mündete im Garten des Nachbarn. “Mali, komm, das musst du dir ansehen!”, rief er. Neugierig hüpfte Mali herbei. “Du, ich habe eine Idee. Die Leute sagen doch immer, dass hinter dem Regenbogen ein anderes, wunderschönes Land ist. Lass uns dort hingehen. Vielleicht finden wir ja Frauchen. Bevor Mali antworten konnte, machte er einen Satz und landete auf dem grünen Strahl des Regenbogens und brüllte: “Komm, Mali, du Angsthase, willst du nicht mit?” Mali überlegte einen Moment, ob sie nicht doch zu Hause im Warmen auf Frauchen warten sollte. Doch dann nahm sie allen Mut zusammen, machte einen Riesensprung und stand neben ihrem Bruder.
Auf dem Regenbogen
Es war herrlich hier oben. Der eisige Wind pfiff ihnen durch das Fell. Doch sie empfanden keine Kälte. Sie kletterten immer höher hinauf. Aber der Regenbogen schien kein Ende zu nehmen. Als Mali müde wurde, trieb ihr Bruder sie an: “Mali, bald sind wir da, und dann bekommst du viele, viele Leckerlis.”
Auf einmal kam es ihnen vor, als ob jemand tausend dicke Vorhänge öffnen würde. Immer mehr Licht durchflutete den Himmel, bis es so hell war, dass sie ihre Augen schließen mussten. Sie blieben stehen und lauschten. “Luka, hörst du das auch?”, meinte Mali, “mir kommt es so vor, als ob hier Katzen wären.” Dann öffneten sie die Augen und traten an den Rand des Regenbogens. Sie standen vor einer riesigen Brücke und blickten hinaus in die Weite des Alls. Was sie sahen, verschlug ihnen fast das Miauen. Sie sahen unendlich viele Katzen. Kleine, große, alte, junge, schwarze, weiße, einfarbige, gescheckte. Und sie wuselten durcheinander. Die einen jagten kleine Mäuse, die anderern waren mit ihren Spielsachen beschäftigt. Und alle machen einen glücklichen Eindruck. Das war offensichtlich das vollkommene Katzenparadies. “Mali, weißt du, wo wir sind?”, fragte Luka, “das ist das Land hinter der Regenbogenbrücke, wo alle Katzen hingehen, wenn sie gestorben sind.” “Luka, hier ist es ja herrlich, komm, da bleiben wir!”, antwortete Mali begeistert. ” Mali, bist du verrückt! Hier gehören wir doch noch nicht hin. Wir wollen Frauchen suchen. ” Während sie sich so stritten, wurden die Katzen im Regenbogenland auf sie aufmerksam und riefen: “He, was steht ihr da herum, kommt endlich herein!” “Nein!”, brüllte Luka hinüber, “das geht nicht, wir sind noch nicht tot. Wir suchen jemanden, deshalb sind wir hier!”
Der Chef
Dann löste sich aus dem Kreis der Katzen ein großer Kater, der aussah, als sei er der Chef. Mit majestätischen Schritten näherte er sich und blieb vor der Brücke stehen. Er musterte die beiden Neuankömmlinge ausgiebig und fragte, was sie eigentlich hier wollten. Luka und Mali erzählten ihm von Frauchens Abschied und dass sie schreckliches Heimweh nach ihr hatten. “Kein Problem”, meinte der Chef, “ich weiß, was ihr machen müsst. Wenn ihr noch etwa 200 m weitergeht, kommt ihr an eine Schranke, die von Rolfi, meinem Sohn, bewacht wird. Dahinter ist ein großes Fenster, aus dem man die ganze Welt sehen kann und sicher auch euer Frauchen. Ihr selbst dürft nicht durchgucken, aber ihr könnt Rolfi alles genau beschreiben, dann wird er sie finden.”
Der Wächter des Fensters zur Welt
Die beiden bedankten sich und liefen so schnell sie konnten auf dem Regenbogen weiter. Rolfi wusste schon Bescheid, als sie ankamen. Das war wahrscheinlich Telepathie, was die Katzen ja gut beherrschen. Luka beschrieb Rolfi Frauchens Aussehen bis auf die kleineste Kleinigkeit. Dieser überlegte einen kurzen Moment. Dann durchfuhr ihn ein glückseliger Schauer: Dieses Frauchen musste auch seines sein! Über 20 Jahre hatte er ein paradiesisches Leben bei ihr. So ein Zufall, dass die beiden gerade zu ihm gekommen waren. Wie gerne setzte er alle seine Fähigkeiten ein, um ihnen zu helfen. Dann schaute er durch ein riesiges Teleskop und hatte Frau Monath nach wenigen Augenblicken gefunden. Sie lag in einem Krankenhaus in München und er sah, dass sie sehr traurig war. Gerade hielt sie ein Foto in der Hand, das Luka und Mali zeigte. Eine dicke Träne rollte über ihr Gesicht und sie atmete schwer. Wie würde es ihren beiden Lieblingen gehen? Die Sehnsucht schnürte ihr fast die Kehle zu.
Rolfi, der dank seiner Intelligenz der Wächter des Fensters zur Welt war, überlegte kurz, stellte ein paar Berechnungen an und erklärte Luka und Mali dann, wie sie zum Krankenhaus kommen. Zuerst mussten sie die Wolke erwischen, bei der Durchschnittsgeschwindigkeit und Winkel zur Erde passten. Dann hieß es Ohren anlegen und losfliegen. Rolfi wollte von oben alles genau beobachten und telepathisch genaue Anweisungen geben, damit sie am richtigen Ort landeten.
Der Flug
Allmählich kam ein starker Wind auf. Aber noch durften sie nicht aufspringen. Wie froh wären sie, wenn sie zu Hause im Warmen auf Frauchens Beine liegen könnten. Das hier war ja ein Himmelfahrtskommando. Plötzlich schoss ein riesiges Wolkenpferd auf sie zu und Rolfi schrie: ” Jetzt, aufsteigen!” Luka griff nach Malis Pfote, damit sie sich nicht verlieren würden. Und bevor Mali wusste, wie ihr geschah, stand sie mit Luka in einer grauen, eisigkalten Masse, die mit einer Affengeschwindigkeit durch den Himmel raste. Sie drückte sich an Lukas Rücken, um sich ein wenig vor dem Fahrtwind zu schützen. Obwohl die beiden immer weiter von Rolfi wegflogen, verlor er sie nicht aus den Augen und gab Luka Anweisungen von Gehirn zu Gehirn. Immer wieder mussen sie umsteigen. Die Wolken wurden schwerer, dicker, eisiger und tiefer. Lukas Schnurrbart war inzwischen weiß gefroren und drohte zu brechen.
Die Ankunft
Nach einer gefühlten Ewigkeit befanden sie sich über einem langen Gebäude, das in einem großen Garten lag. Das musste das Krankenhaus sein. Rolfi gab den Befehl abzuspringen und sie landeten auf einer riesigen Tanne, deren Zweige bis zu den Krankenzimmern ragten. Sie schauten sich um. Viele Bäume waren mit Lichtern geschmückt, die alle hell leuchteten. Jetzt fiel ihnen ein, dass bald Weihnachten sein musste. Oder war vielleicht heute schon Heiligabend? Natürlich, das hatten sie ja komplett vergessen. Sie kletterten auf die langen Zweige hinaus und schauten in die Krankenzimmer. Irgendwo musste Frauchen doch liegen! Viele Zimmer waren dunkel, denn die meisten Patienten waren an Heiligabend zu Hause. Was sollten sie bloß machen? Mutlosigkeit erfasste sie. Vielleicht hatte sich Rolfi im Krankenhaus geirrt und die ganze Anstrengung war umsonst gewesen. Inzwischen schmerzten ihnen die kalten Pfoten. Außerdem hatten sie den ganzen Tag noch nichts gegessen. Langsam fing es auch noch an zu schneien. “Weißt du was, Mali, jetzt können wir nur noch so laut wie möglich schreien und hoffen, dass uns jemand hört, der uns dann weiterhilft”, schlug Luka vor. Und dann stimmte er sein lautestes und schrillstes Geheul an, mit dem er normalerweise die Rivalen seines Reviers in die Flucht schlug. Die Passanten vor dem Krankenhaus erschraken und ein junger Arzt stürzte aus dem Haus und versuchte die beiden zu verscheuchen. So ein Lärm. Nicht mal an Heiligabend hatte man vor den streunenden Katzen seine Ruhe. Aber Luka und Mali ließen sich nicht beirren. Sie änderten nur die Tonlage.
Im Krankenzimmer
Frau Monath lag im Dunkeln. Sie wollte keine Kerze anmachen. Zu traurig war sie. Denn so weit weg von ihren Katzen gab es für sie keine Freude und keinen Heiligen Abend. Plötzlich kam es ihr vor, als ob sie Luka hören würde. “Jetzt bin ich übergeschnappt. Ich höre schon Stimmen”, sagte sie zu sich. Sie stand auf und trat ans Fenster. Aber sie blickte in die Dunkelkeit und die Beleuchtung der Tannen war zu schwach, um etwas erkennen zu könnnen. “Ist ja auch abartig, wie sollen denn meine Katzen hierhin kommen?” Sie knipste das Licht an, um nicht zu stolpern.
Im Garten des Krankenhauses
Draußen hatten Luka und Mali alle Fenster im Blick. Daher entging es ihnen nicht, als plötzlich in einem Zimmer das Licht angemacht wurde und eine Frau zum Fenster ging. Sie erstarrten. War das nicht Frauchen? Genauso sah sie aus. Natürlich, das war ihr geliebtes Frauchen! Jetzt gab es kein Halten mehr. Vor lauter Freude rannten sie wie besessen die Tanne hoch und runter und hüpften von Zweig zu Zweig, dass der Baum wackelte und der feine Neuschnee zu Boden fiel. Zum Glück war das Krankenhaus ein etwas älteres Gebäude und hatte noch richtige Fenstersimse. “Komm, Mali, Absprung!”, rief Luka und dann machten sie eine Punktlandung direkt vor dem Fenster ihres Frauchens. Jetzt bewiesen sie, zu welcher Leistung ihre Krallen fähig waren. Sie schabten am Fenster, dass es quietschte, und schlugen mit den Köpfen gegen die Scheibe. Damit hätten sie einen Toten aufwecken können.
Endlich vereint
Frau Monath rannte wie von Sinnen ans Fenster, riss es auf und……. hatte beide Katzen in ihren Armen. Das war der schönste Augenblick ihres Lebens. Sie weinte und lachte gleichzeitig und wusste nicht, was sie vor Glück machen sollte. Was für ein Tag! Sie machte die Kerze auf ihrem Tisch an. Jetzt war Weihnachten. Und sie hatte das wundervollste Geschenk erhalten, das sie sich vorstellen konnte.
Da sie nach der Operation noch ein bisschen schwach war, musste sie sich wieder ins Bett legen. Aber das war kein Problem, denn Luka und Mali legten sich dazu. Sie schmiegten sich an ihr Frauchen, schnurrten ohne Unterlass und waren überglücklich. Sogar der Hunger war wie weggeblasen.
Das Ende
Als die Nachtschwester später vorbeikam und alle drei friedlich schlafend im Bett vorfand, glaubte sie, ihren Augen nicht trauen zu dürfen. So etwas hatte sie in 30 Dienstjahren nicht erlebt. Aber sie war eine leidenschaftliche Katzenfreundin und hatte selbst einen frechen roten Kater zu Hause. Sie wusste, dass die Katzen zur schnellen Genesung von Frau Monath beitragen würden. Da im Krankenhaus keine Tiere erlaubt waren, nahm sie Luka und Mali noch zwei Wochen in Pflege, bis Frau Monath gesund nach Hause entlassen werden konnte. Diese rief noch in der Heiligen Nacht die verzweifelte Frau Sommer an, der ein riesengroßer Stein vom Herzen fiel, als sie hörte, dass die Ausreißer wieder da waren.
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