Als Kind begegneten mir Katzen auf dem Bauernhof meiner Großeltern öfters mit einer Maus im Maul. Daher empfand ich sie als äußerst suspekt.  Sie waren für mich kleine kratzende Monster, die manchmal ins Bett meiner Oma schissen, weil irgendjemand die Haustür offen gelassen hatte.  Die gelbliche Soße stank so penetrant wie Buttersäure und bestärkte mich noch mehr in meinem Glauben, dass Katzen eher unangenehme Wesen waren, die man mit Vorsicht zu genießen hatte.  Auf einem Bauernhof hielt man sie damals in den Scheunen, allein zum Mäusefangen, stellte ihnen morgens ein Schälchen Milch hin, was sie natürlich nicht vertrugen und Durchfall bekamen. Man konnte sich mit ihnen auch nicht anfreunden, denn sie lebten nie lange. Da sie nicht geimpft wurden, schafften nur wenige mehr als ihr erstes Lebensjahr, gerade genug, um ein oder zwei neue Würfe in die Kornkammer zu legen. Keiner wäre auf den Gedanken gekommen, etwas dagegen zu tun. Geld für den Tierarzt gab man höchsten für ein Pferd, eine Kuh oder ein Schwein aus.

Ich liebte Hunde und wünschte mir nichts sehnlicher als einen kleinen Pudel. Aber meine Mutter erfüllte mir diesen Wunsch nicht, weshalb ich mit ihr zeitweise beleidigt war und tagelang kein Wort sprach.

Einsam im Hochhaus

Als ich Jahre später verheiratet war und in meinem ersten Berufsjahr ziemlich einsam mit meinem Mann im 5. Stock eines Hochhauses wohnte, las ich eines Tages im Mitteilungsblatt der Stadt: Junge Siamkatze abzugeben. Ich weiß bis heute noch nicht, welcher Teufel mich geritten hatte. Denn völlig unverständlich, ja regelrecht abartig nach meinen Kindheitserlebnissen traf mich die Eingebung: Das ist deine Katze!!

Natürlich hatte ich null Ahnung von Katzen, geschweige denn von Siamkatzen. Ich wusste aber, wie süß die jungen runden Fellknäuel mit ihren buschigen Schwänzen aussahen, wenn sie in unserem Hof herumtapsten. Mit so einem Kätzchen zu leben, konnte ich mir inzwischen vorstellen.

Bei der Züchterin

Voller Erwartung läutete ich also bei der Züchterin. Die Tür öffnete sich und mich traf fast der Schlag: Im Flur saßen drei magere, beigefarbene, regungslose Statuen, die mich erwartungsvoll anblickten. Vor Entsetzen blieb mir die Sprache weg. Ich hatte noch nie Siamkatzen gesehen. Der Gedanke, dass sie nicht genug zu fressen bekommen, schoss mir durch den Kopf. Zaghaft trat ich ein und wäre fast zu Fall gekommen. Denn plötzlich sauste eine – wie mir schien – cremefarbene kleine Ratte zwischen meinen Beinen hindurch und verschwand im hinteren Bereich der Wohnung. Meine damalige Naivität ist himmelschreiend. Und es ist mir heute höchst unangenehm, dies hier kundzutun.

Foto: rihaij auf pixabay

Micky

Welche Katze denn nun zum Verkauf stünde, fragte ich zaghaft bei einer Tasse Kaffee und in der Hoffnung, es gäbe nichts mehr zu verkaufen. Da stand die Züchterin auf, fischte unter dem Sofa nach einem Katzenbein und zog die kleine Ratte hervor, mit der ich eben schon Bekanntschaft gemacht hatte und die sich mit aller Gewalt dem Griff der Besitzerin zu erwehren suchte. “Das ist unser Micky”, erzählte sie. Er sei das letzte Exemplar ihres Wurfes und schon neun Monate alt. Alle anderen seien längst verkauft. Aber dieser Racker habe sich bei potenziellen Käufern einfach immer zu ungestüm gebärdet, dass ihn keiner haben wollte. Wobei er später doch einmal so schön werden würde. “Sie müssen wissen”, meinte sie verschwörerisch, “das hässlichste und staksigste Siamkätzchen wird später mal das prächtigste. Aber die Banausen (und dabei machte sie eine abfällige Bewegung, die ich auch auf mich bezog) haben doch alle keinen Ahnung. So, jetzt wusste ich es und wagte nicht mehr, einen Kauf abzulehnen.

Foto:rihaij bei pixabay

Warum diese Katze?

Von Selbstvorwürfen gequält schlich ich nach Hause. Was wollte ich mit so einem aalglatten Ding, das sich nicht einmal anfassen ließ? Mein Mann würde mich für verrückt erklären. – Warum ich schließlich diesen kleinen Kater gekauft habe? Ich weiß es tatsächlich nicht. Ich glaube, er war uns vom Schicksal einfach bestimmt, das uns eine Katzenliebe schenken wollte, die unser Leben über 20 Jahre erfüllte.

Eine Lebenskatze ist da…

Und so kam es, dass wir uns wenig später ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen konnten. Er hatte alles komplett auf den Kopf gestellt. Aus dem frechen Rühr-mich-nicht-an-Rabauken war mit dem Einzug in unsere Wohnung ein zwar immer noch ungestümer, aber um so zärtlicher Charmeur geworden, der so dominant war, dass es nichts mehr gab ohne ihn. Er forderte unsere Aufmerksamkeit und Hingabe wie ein zweijähriges Kind und schien ein sehr geringes Schlafbedürfnis zu haben.

Selbst beim Essen wollte er bei uns am Tisch sitzen. Er erhielt so seinen eigenen Stuhl, auf dem er thronte, während wir aßen, und jede unserer Bewegungen genau beobachtete. Wir konnten mit ihm geradezu Gespräche führen, da er ein riesiges Repertoire an Lauten beherrschte – eine typische Fähigkeit der Siamkatzen. Micky war nicht irgendeine Katze. Wenn er mit kerzengerade erhobenem Schwanz auf uns zuschritt, strahlte er eine Würde aus, die Respekt einflößte, sodass er immer mehr zum gleichwertigen Mitglied unserer Familie wurde. Ja, wir vergaßen sagar fast, dass er ein Tier war. Auch wären wir nie auf die Idee gekommen, von ihm als “Katze” zu sprechen. In Gesprächen über ihn war er immer nur Micky, scherzhaft nannten wir ihn oft Herr Mick.

Und so, wie er unser Leben veränderte, so veränderten wir uns selbst. Wir hatten nicht mehr nur uns selbst im Blick, sondern das Wohlergehen dieses kleinen Wildfangs, der uns mit einer Liebe überschüttete, die einzigartig war.

Unter folgendem Link kann man mehr über Micky lesen.

Wie unsere erste Katze ihren Todeszeitpunkt selbst bestimmte

Da es zu Mickys Zeiten noch keine digitale Fotografie gab und Papierbilder sich nicht für den Blog eignen, sind alle Fotos aus Pixabay. Aber sie zeigen Siamkatzen, die so ähnlich aussehen wie einst Micky.